Mittwoch, 24. Juli 2013

95. B Offener geheimer Maßregelvollzug zur Vorbildproduktion, oder wie man im ganz normalen Alltag auf sowas kommt

Die Wiesen sind ausgetrocknet, sie dürsten nach einer längeren Erzählung: Zeit für eine B-Ebene. Am Mittwochmorgen ist es der Kreativleitung gelungen, den Buchhalter, der ihr Büro wegen der Steuer in diesen Tagen blockiert, für eine Stunde von der Chefin einbestellen zu lassen, so dass sie ihrerseits doch einmal kurz ihres Amtes walten kann (jedenfalls, wenn sie strikt an den Unterlagenstapeln vorbei schaut). Und nun berichtet sie also - das Mo immer irgendwo im Blick, es bevorzugt in diesen Tagen die Fensterbank, wo der klitzekleine Forschungsminister zu gelegentlichen Besuchen vorbei schaut - wie es dazu kommen kann, dass ein Erdenmensch ein allmächtiges Subjekt irdischer oder überirdischer Provenienz als einen Akteur und Lenker hinter seinen Geschicken vermutet.
Unsere Freundin, die Kreativleitung, die, wie sich mancher Leser erinnern wird, immer mal wieder zu grünlichen Verfärbungen ihres Gesichts neigt, hatte im Sommer einen dieser Jobs erledigt, die man nur mit einem lachenden und einem weinenden Auge in Würde überstehen kann: Kurzfristig war jemand ganzleibig unter die Erde zu bringen gewesen, eine Dame, über die in den Gesprächen zur Vorklärung lediglich abfällige Bemerkungen einzuholen waren. Mo hatte mit am Telefon gelauscht und war laut maunzend vom Schreibtisch gesprungen, um sich für den Rest des Abends, an dem die Rede verfertigt wurde, nicht mehr blicken zu lassen: so eine Nachrede war angekommen. Dienstag waren dann also auf dem herrlich schönen Friedhof mit seiner klassisch modernen Feierhalle eine schöne und ihres Faches kundige Feierbegleiterin, eine enorm coole Organistin, sechs Sargträger, zwei Bedienstete des Friedhofes und ein Mann, der die Verblichene betreut und beerbt hatte, was er unter ausdrücklicher Missbilligung ihrer Gesamtperson getan hatte. Da ist mit Klischees nicht viel zu machen, du musst das Material nehmen, das du bekommst, und es den Rachsüchtigen so schwer wie möglich machen. Die Kreativleitung kann solche Reden, und hält sie erbarmungslos notfalls auch vor dem leeren Sarg unter kompetenter Rezitation der ganzen 8. Duineser Elegie. Sie bewundert den herrlichen Blumenschmuck, unterhält sich angemessen mit den anderen Beteiligten der absurden Szene und richtet mitleidsvoll ihre Gedanken auf die Verstorbene. Das ist Teil ihrer Arbeit. Danach musste getankt und das Firmenfahrzeug gereinigt werden, es gehört auch zum Geschäft der EinSatzLeitung. Und hier beginnt nun erst die Geschichte, wie es dazu kam, dass die Kreativleitung wieder einmal über potentielle Subjekte hinter den Geschicken der EinSatzLeitung nachdachte, ganz ohne Mo, und ganz ohne Karomütze, dem freilich, sobald der Buchhalter sich wieder an seine Arbeit machen würde, Bericht zu erstatten war, denn Aufklärung wäre hier nicht verkehrt. Sie fuhr also das EinSatzFahrzeug auf die dem Friedhof zunächstgelegene Tankstelle der Firma, bei der die Firma einen winzigen Rabatt zu erhalten pflegt. Ein Tankwart (so etwas gibt es da wieder!) erklärte ihr, dass sie weniger zahlen müsse als an der leider kaputten Ausschilderung zu lesen war, prüfte den Ölstand und war beim Auffüllen des Wischwassers behilflich. Sie fragte nach einer Autowäsche, und er erläuterte ihr das Angebot, für 25,- € das Auto von innen und außen zu reinigen, mit allem was dazu gehörte. Die Kreativleitung, müde von dem Job und von der Tatsache, dass sie in der Sommerbesetzung der EinSatzLeitung selbst immer für alle Reinigungsarbeiten am Auto und am Büro zuständig war, beschloss, sich diese Annehmlichkeit für einmal zu leisten, zumal ein Stuhl neben der Waschanlage im Grünen stand und die Tageszeitung den Fall jener Norwegerin in Dubai ausführlich kommentierte, was unsere zur Grünlichkeit neigende Dame immer interessiert, denn man muss die Pegelstände der weltweit anwachsenden Frauenfeindlichkeit auch in der Heimat immer mal wieder kontrollieren. Sie gönnte sich also das ungewöhnliche Vergnügen, mit einer Zeitung im Grünen zu sitzen und zu wissen, dass nebenbei das Auto gereinigt wurde. Die Absprachen zwischen dem freundlichen Tankwart und seinem Kollegen an der Kasse hatten ein leichtes Knirschen zutage gefördert. Der Kassenwart hatte gesagt, nee, nicht noch einen Rabatt, und der Tankwart hatte sich verteidigt, indem er sagte, nein, die Wäsche ist für den vollen Preis, und außerdem… na mach schon, hatte der Kassenwart gesagt.
Begeistert und voller Tatendrang für die nächsten Bürostunden fuhr die Kreativleitung weiter. Es gab sogar eine Aussicht auf eine abendliche Plauderei unter Freunden, es würde mit diesem kleinen Geschenk ein schöner Tag werden. Und dann wurde es plötzlich von Kilometer zu Kilometer schwieriger, einen Gang einzulegen. Das Wageninnere erfüllte sich mit einem Geruch, den sie schon von früheren Kupplungsschäden kannte. Mit Mühe schaffte sie es auf das Werkstattgelände ihres Vertrauens. Dort empfing sie der Monteur, den sie von der TÜV-Untersuchung noch kannte, schon. Er war im Stil und äußeren Auftreten dem freundlichen Tankwart nicht unähnlich und sagte, was machen Sie denn für ein schlechtgelauntes Gesicht, ach, das riecht hier aber nach Kupplung. Am Ende des Tages erschien es ihr, als sei dieses kleine Vergnügen nach einem schwierigen Job regelrecht bestraft worden durch eine Reparatur, die einen erheblichen Teil des für die Steuer und andere Dienste vorgesehenen Einkommens einfach vernichten würde. Für theoretische Erörterungen der Frage, wer an solchen Folgen Interesse haben sollte, war sie dann aber zu müde. Zurück im Büro erstattete sie Chefin und Buchhalter kurz Bericht und schloss mit der Bemerkung: Theoretisch ist darüber doch alles gesagt. Etwa nicht? Der Buchhalter hielt Buch. Und Mo zeigte sich nicht, sie war wohl immer noch erschrocken von den üblen Nachreden, die sie hatte hören müssen. Am Abend waren die in der Stadt verbliebenen EinSatzKräfte dann alle wieder beieinander. Es würde irgendwie weiter gehen. Man würde sich nach neuen Standorten umsehen. Man würde die Bildungen von Erziehungs- und Entwicklungstheorien mit gleicher Rute schlagen wie die Bildungen von Verschwörungstheorien und noch den religiösen Fanatikern Milde angedeihen lassen, sofern sie sich ihrerseits der Gewalt und der Maßnahmen enthielten, wie immer, man würde weiter arbeiten, man würde sich weiter amüsieren, und irgendwann würde der Buchhalter seine Angelegenheiten erledigt haben und den Arbeitsplatz der Kreativleitung entsetzen, für länger als eine Stunde, denn es war ja kein Zustand. Damit wird die "Sprengung" der verdursteten Wiesen für heute beendet, die B-Ebene verlassen, die Routine aufgenommen. Von Solidaritätserklärungen bitten wir Abstand zu nehmen, andere haben nun wirklich ernstere Sorgen.