Freitag, 16. März 2012

54.B


Der Impuls, einem Unrecht, gar einer mörderischen Untat zu widerstehen, ist stets Ausdruck der höchsten Bereitschaft, die Achtung vor der Allgemeinheit der Menschen und darum den Schutz eines JEDEN Individuums zur eigenen Sache zu machen. Er ist also, wo er in einem Menschen auftaucht, Ausdruck des höchsten Bewußtseins der Gleichheit der Menschen und der innigsten Verbundenheit eines Menschen mit der Gesamtheit seiner Mitmenschen. Und doch wird er zu einer Absonderlichkeit und einem individuellen oder dem partikularen Spleen einer kleinen Gruppe, wo immer sich eine große Gruppe von Menschen gegen eine andere oder gegen einen ausgestoßenen Einzelnen zusammentut. Wer einer solchen Gruppe widersteht, deren Zusammenschluß auf einer wie auch immer sublimierten Form des Menschenopfers beruht, riskiert damit, selbst das nächste Opfer zu werden. Und dennoch ist er in einer solchen Konfiguration der Einzige, der die Allgemeinheit der Menschen gerade vollzieht, indem er das Risiko seiner Aussonderung nicht scheut, und er scheint sogar der Einzige zu sein, der die Realitätstauglichkeit der Idee der Freiheit verbürgt. Dies gilt vollkommen unabhängig von allen mehr oder weniger vernünftigen Begründungen der Zusammenschlüsse starker gegen schwache, vieler gegen wenige, aller gegen einen Menschen, und es gilt leider auch unabhängig davon, ob der zum Opfer ausersehene Mensch oder die Menschengruppe selbst ein Interesse an der Allgemeinheit oder Freiheit hat oder nicht, denn wer in die Gewalt von anderen fällt, wird ja dadurch der eigenen Handlungsmöglichkeiten beraubt. Der einzige Mensch also, der in solchen Konstellationen  die allgemeinste Bestimmung der Menschen zur Freiheit lebendig erscheinen läßt, ist genau der Mensch, der, obwohl selbst bei Passivität oder Teilnahme an der Jagd nicht in unmittelbarer Gefahr (und insofern aus Freiheit und um der Freiheit willen), sich von den anderen, häufig seinen Nächsten, absondert, um den gefährdeten Anderen und die Selbstachtung seiner eigenen Gruppe zu retten. Auf dieser Erfahrung beruht die mögliche und auch die schreckliche Wahrheit eines jeden Erwählungsgedankens.

1 Kommentar:

  1. Der klitzekleine Forschungsminister16. März 2012 um 15:34

    Dieses ist der Kernsatz eines halbfertigen Buches und sucht nach einer freiheitlichen Antwort auf beispielsweise diese Sätze des Herrn Zizek: „‚Gerade die Ausgeschlossenen, diejenigen, die keinen eigenen Platz innerhalb der globalen Ordnung haben, verkörpern unmittelbar die wahre Universalität und repräsentieren das Ganze im Gegensatz zu allen anderen, die nur für ihre Partikularinteressen stehen’“, um dann auslegend hinzuzufügen: „Dadurch daß es jeglicher spezifischen Differenz entbehrt, steht ein solches paradoxes Element für die absolute Differenz für die reine Differenz als solche. Genau in diesem Sinne ist die paulinische Universalität nicht die stumme Universalität als das leere neutrale Behältnis seines partikularen Inhalts, sondern eine ‚ringende Universalität’, deren tatsächliche Existenz eine radikale Spaltung ist, die den gesamten partikularen Inhalt durchtrennt.“ (Slavoj Zizek, Die Puppe und der Zwerg, FfM 2003, S. 112)

    AntwortenLöschen